Falsche Knie, fehlerhafte Hüften
Krankenhaus gibt Hersteller die Schuld an falsch eingesetzten Gelenken
Wiebke Hollersen
Zwei Geschäftsführer, ein Staatssekretär, ein Arzt und zwei Mitarbeiterinnen sind zur Verteidigung erschienen. Sie sitzen am Konferenztisch im Sankt-Hedwig-Krankenhaus, vor ihnen liegen orange-weiße Kisten. In den Kisten sind Kniegelenke aus Metall. Das Krankenhaus ist in die Schlagzeilen geraten, weil es Patienten falsche Kniegelenke und fehlerhafte Hüftprothesen eingesetzt haben soll.
Reinhard Nieper ist Gesamtgeschäftsführer der Gesellschaft der Alexianerbrüder, die unter anderem das Sankt-Hedwig-Krankenhaus in Mitte betreibt. Nieper beginnt seine Verteidigungsrede so: "Da wird von Herstellern versucht, ihre Fehler der Klinik in die Schuhe zu schieben." 47 Patienten hatten zwischen Mai 2006 und März 2007 im Krankenhaus künstliche Kniegelenke falsch eingesetzt bekommen. Sie erhielten Gelenke, die mit Knochenzement befestigt werden müssen. Der Zement wurde aber weggelassen - weil die Ärzte offenbar dachten, sie verwenden Gelenke, die zementfrei anwachsen.
Schuld an der Verwechslung sei vor allem die Herstellerfirma, sagte Nieper. "Das Produkt wurde falsch im Lager einsortiert und deswegen falsch eingesetzt." Die Kisten mit den Gelenken seien nur in Englisch beschriftet gewesen. Als das Krankenhaus die erste Lieferung des neuen Produktes bekam, nahm eine Außendienstmitarbeiterin des Herstellers die Einsortierung ab. "Diese Mitarbeiterin war auch bei den ersten Operationen mit dem Produkt dabei." Sie habe nicht auf Fehler hingewiesen. Nieper gibt Kisten mit den Gelenken herum. "Non-modular cemented" steht darauf. Die Ärzte hätten die Gelenke ausgepackt erhalten. "Ein Operateur hat keine reale Möglichkeit, den Unterschied zu erkennen." Gelenke, die Zement brauchen, sehen demnach aus wie solche, die ohne Zement auskommen.
Alexander Grafe, Geschäftsführer des Hedwig-Krankenhauses, sagt, dass nach der ersten Lieferung der Kniegelenke auch alle weiteren falsch einsortiert wurden. Die Krankenhausmitarbeiter kopierten einfach die Ordnung der Frau von der Herstellerfirma. Der Fehler fiel erst auf, als die Firma im März 2007 ihre Kisten mit deutschsprachigen Aufklebern versah, "zementfrei" etwa.
Das Krankenhaus fühle sich trotz der "hohen Mitverantwortung der Herstellerfirma" für seine Patienten verantwortlich und habe allen Betroffenen eine kostenlose Korrekturoperation angeboten. Bei 13 Patienten sei diese zweite Operation bereits durchgeführt worden, sieben weitere haben Termine für die nächsten Wochen vereinbart. Das zeige, dass die Patienten dem Krankenhaus und ihren niedergelassenen Ärzten, die dort operiert haben, weiterhin vertrauen. Zumindest die meisten: Dem Krankenhaus wurden bereits zwei Klagen angekündigt. Die Klinik wolle gegen die Herstellerfirma vorgehen. "Wir prüfen das gesamte Spektrum: etwa Schadensersatzklagen und die Kündigung der Verträge", sagte Nieper.
Der Kniegelenk-Hersteller Smith & Nephew, laut Firmenwebseite "eine Gesellschaft, deren Aktien an der Londoner und an der New Yorker Börse gehandelt werden", hat eine deutsche Niederlassung. Dort hieß es gestern, man bereite eine Erklärung zu den Vorwürfen vor.
Ein anderer Rechtsstreit mit einer Herstellerfirma ist bereits eröffnet. Es geht um fehlerhafte Hüftprothesen, die 2003 und 2004 im Sankt- Hedwig-Krankenhaus eingesetzt wurden. Anfang Januar 2005 brach einem Patienten die neue Hüfte. "Der Arzt rief sofort den Hersteller an, um zu fragen, ob hier ein Serienfehler vorliegt", sagt Nieper. Diese Frage habe man schriftlich wie telefonisch unzählige Male wiederholt. Erst am 26. Juni 2007 habe der Hersteller, Falcon aus Österreich, einen Serienfehler eingeräumt. Das Krankenhaus habe am 6. Juli alle Betroffenen informiert. Wie viele das sind, will Nieper nicht sagen. "Uns sind sechs Schadensfälle bekannt."
Im Fall der Hüften wie in dem der Knie sehe er kein fehlerhaftes Verhalten der Klinik, sagt Benjamin Hoff (Linke), Staatssekretär der Senatsverwaltung für Gesundheit. Er ist gestern ins Krankenhaus gekommen, um sich umzusehen. Nun sitzt er neben den Geschäftsführern und sagt: "Sankt Hedwig ist kein Risikokrankenhaus." Die Klinik habe den Patienten unbürokratisch geholfen, werde eine Prüfgruppe einrichten und andere Krankenhäuser informieren. Nach Auskunft der Klinikchefs könnten "fünf, sechs andere Berliner Häuser" falsch sortierte Kniegelenke verwendet haben.
Staatssekretär Hoff will in der Diskussion "den Fokus auf die Sicherheit von Medizinprodukten" lenken. Für diese müsse es ein ähnliches Schnellwarnsystem wie in der Lebensmittelsicherheit geben, forderte er.
Berliner Zeitung, 15.08.2007