Da bisher niemand mehr konkret auf die Fragen geantwortet hat, werde ich nun nochmal eine Zusammenfassung machen, damit man die letzten gestellten Fragen aus der Sicht meiner Schwester ein wenig besser versteht und auch, damit man nachvollziehen kann, warum ich behaupte, dass ich "für die Angehörigen leben" würde.
Meine Eltern sind von Beginn an seit dem Unfall bis heute der Meinung, ich solle nicht akzeptieren im Rollstuhl zu sitzen und alles dafür tun, um wieder herauszukommen. "Du bist nicht für den Rollstuhl" oder "Schau M. H. an. Er hat zu sich gesagt "Das kann doch nicht wahr sein" und sich nicht aufgegeben und solange hart trainiert, bis er es wieder geschafft hat zu laufen."
Meine Schwester war zu Beginn auf der selben Schiene. Erst nach und nach, als wir uns öffentlich informierten und klar wurde, dass die Welt nicht gerade von solchen Beispielen überfüllt ist, wurde sie mit solchen Erwartungsaussagen vorsichtiger und fing an auch ein Rollstuhlleben für mich als realistisch anzusehen.
Wenn ich aber meinen Eltern klarmachen will, dass die Anzahl der Beispiele von laufenden Querschnitten verschwindend gering zu sein scheinen und ich das mit Beispielen von hier oder anderen (FB)Gruppen und Foren versuche zu belegen, heißt es sofort, ich solle mich nicht nach diesen Beispielen richten und ich wäre ja "anders" und habe so viele Restfunktionen und bei mir wäre das auf jeden Fall möglich. Wenn ich ihnen dann Beispiele von anderen mit ähnlichen Restfunktionen nenne (die ja auch hier schon genannt wurden), dann wird da nicht näher von ihnen drauf eingegangen oder aber es wird behauptet, diese Personen hätten nicht genug trainiert.
Meine Schwester hat laut eigenen Angaben nicht diese komplette Diskussion verfolgt und demnach auch nicht alle Beiträge von Beginn an gelesen, deshalb weiß sie wohl nicht, dass bereits zahlreiche Beispiele von laufenden Querschnitten genannt wurden. Diese sind jedoch so sehr auf Hilfsmittel angewiesen, dass das Laufen nur für kurze Strecken ausreicht und praktisch als Ergänzung zum Rollstuhk fungiert. Aus diesem Grund hat sie wahrscheinlich die Frage nach Bekanntschaften nochmals gestellt (Tipp: Lese dir einfach nochmal die ersten 5 Seiten durch).
Als dann irgendwann nach vielen öffentlichen Versuchen der Umfrage immer nur das selbe Ergebnis herauskam, nämlich zero Beispiele und nur die EINE Bekanntschaft dieses berühmten Fernsehbeispieles M.H., hat sie versucht das mit den abenteuerlichsten Argumenten zu begründen. Eines davon war z.B. dass, (obwohl es laut ihr weltweit viele Tausende geben müsste), diejenigen, die wieder laufen könnten, unter gar keinen Umständen an die Öffentlichkeit gehen würden. Laut ihrer Vorstellung würde absolut NIEMAND seine Geschichte in irgendeiner Form im Internet erzählen wollen, um sich mediales Aufsehen zu ersparen. Ich habe ihr dann in einer endlosen Diskussion versucht zu erklären, dass es sozialpsycholgisch absolut unwahrscheinlich ist, dass von den angeblich vielen tausenden JEDER stillschweigen über seinen Lauferfolg ausüben würde. Von tausenden Menschen müssten mindestens ein paar Duzent ihren Erfolg in irgendeiner Form dokumentiert haben, entweder in Videos oder in Blogs, und das wiederrum würde sich innerhalb der Querschnitts "Szene" verbeiten und somit bekannt sein. Doch sie beharrte weiterhin darauf, dass es zwar sehr viele laufende Querschnitte gäbe, aber es niemand davon öffentlich im Internet erzählen würde. Wer ein "aktives Leben" hat, hätte ihrer Meinung nach gar keine Zeit sich so viel mit dem Internet zu beschäftigen und dort von seiner Geschichte zu erzählen. Dass das Internet mittlerweile zum normalen "Real Life" absolut dazugehört und damit verschmolzen ist und seit mindestens 15 Jahren nicht mehr nur etwas für "Nerds" ist, lässt sie dabei anscheinend außer Acht.
Diese Theorie vertrat sie gleichzeitig mit folgender, die der vorherigen ein wenig widerspricht: Als während unserer Recherchen und Umfragen keine Person, die auch nur annähernd die Fähigkeiten von M.H. erlangte, zu finden war, begründete sie das u.A. dadurch, dass man als Rollstuhlfahrer sowieso nicht so viel Zeit für das nötige Training für das Wiedererlangen der Gehfähigkeiten hätte. Es läge also nicht unbedingt an physischen Grenzen durch die körperlichen Schäden (denn diese ließen sich ja grundsätzlich wegtrainieren und kompensieren), sondern weil Haushalt, Beruf und Kindeserziehung die Betroffenen vom intensiv trainieren abhalten würden und ihnen das Wiedererlangen der Gehfähigkeit nicht so wichtig sei. Damit u. A. erklärt sie sich das komplette Fehlen der gesuchten Fallbeispiele. (Ich bestreite ja nicht, dass das in vielen Fällen der Fall sein könnte, doch sie bezieht das praktisch auf ALLE).
Eine weitere Erklärung ihrerseits ist das Fehlen der nötigen Kenntnis über die richtigen Trainingsmethoden fürs "wieder laufen können".
Egal wie sehr sich die Indizien häufen, dass es so gut wie keine der gesuchten Beispiele gibt - sie erfindet immer neue und absurdere Gründe und Erklärungen, anstatt einfach das realistischste und naheliegendste zu akzeptieren, nämlich, dass Rückenmarksverletzungen im Normalfall irreversible Schäden sind, mit denen ein exklusives Laufen aus physiologischen und biologischen Gründen nicht mehr möglich ist.
Nochmals möchte ich an dieser Stelle klarstellen, dass mich meine Eltern und Schwester auch als Rollstuhlfahrer akzeptieren würden und mir helfen würden. Trotzdem bleiben sie bis heute bei der felsenfesten Überzeugung, dass ich nach genug Training wieder werde laufen können. Es ist ja keine "komplette" Querschnittslähmung, also wird es wohl nicht so schlimm sein und durch Training wieder wiederherstellbar.
Da diese Diskussion in der Familie sonst ewig weiter gehen würde, habe ich mit Aufrufen wie in diesem Thread bei Betroffenen nach Fallbeispielen gefragt, um endlich entweder meine Vermutung oder deren Vermutung mit der Realität zu vergleichen.
Zitat von Teddy:
Dass er mit den Anworten nicht zufrieden ist und egal was alles angeboten wurde liegt an seiner momentanen Situation. Alle die sich hier an ihn gewandt haben, haben ihm ein Bufett serviert, auch noch die Häppchen kleingeschnitten auf einem Silbertablett serviert. Er sitzt davor, lehnt es ab und schreit vor Hunger. Wir können ihn nur aufmuntern: greif zu und du wirst satt, aber nehmen muss du es alleine.
Eigentlich wurden nur meine Vermutungen bestätigt. Ich hätte es ja auch nicht schlecht gefunden, wenn jetzt hier eine Flut von Fallbeispielen gekommen wäre, die den Aussagen meiner Eltern und Schwester entsprechen, doch das Gegenteil war der Fall.
Ich habe lediglich Tipps bekommen wie ich ein selbständiges Wohnen organisieren könnte (auch mit Pflegedienst), doch das würden die Angehörigen ja "aus Sicherheitsgründen" nicht zulassen.
Liebe böseböse und liebe Teddy, wir reden hier vom echten Leben mit realen echten Schäden. Darauf lässt sich nicht so einfach alles von hübschen Metaphern und Gedichten übertragen. Aber trotzdem danke für die Mühe.
Zitat von böseböse:
Mach doch dein Zeug selber und stell dich nicht Pflegebedürftiger hin als du bist nur weil du bei manchen Bewegungen Schmerzen hast. Dann tu was gegen die Schmerzen.
Das ist ja ein ganz toller Rat. Wenn es so einfach wäre, wie du es dir vorstellst...Zu der Verharmlosung, die du ständig über meinen Zustand auslässt, zitiere ich einfach mal kurz aus einer Message, die ich privat erhalten habe:
"Nimms deiner schwester nicht krumm, dass sie nicht kapiert, was die schmerzen für dich bedeuten. Das ist kaum möglich, sie ist nicht betroffen. Starke dauerschmerzen tag und nacht sind nicht vergleichbar mit 2-wochen-anhaltenden schm, die danach weg sind (menstruationsbeschw., zahnschm., ...), die zermürbung kann man sich nicht gut vorstellen als nichtbetroffener - ich hätte es früher jdf nur ansatzweise erahnen können, aber nicht verstanden."
Kommen wir nun zum zweiten Teil.
Wie schon zum Teil erwähnt, ist mein Lebensmut und meine Absicht längere Zeit weiterzuleben, nicht gerade groß. Bitte nicht ausflippen, es besteht KEINE akute Suizidgefahr. Ich ziehe es lediglich in Erwägung den Schritt mit einer Sterbehilfeorganisation aus der Schweiz zu vollziehen.
Hauptsächliche Gründe: Extrem starke Schmerzen und die damit verbundene Bettlegrigkeit und Pflegebedürftigkeit. Mit einem Rollstuhlleben würde ich mich sicher noch arrangieren können, doch selbst das bleibt mir aufgrund der vielen Begleitverletzungen verwehrt und ich denke jeder kann zumindest ein bisschen verstehen, dass eine Zukunft hauptsächlich im Bett nicht sonderlich lebenswert und erstrebenswert für mich scheint.
Was meine Angehörigen nun konsequent tun - sie verwehren und verbieten mir die schriftliche Kontaktaufnahme mit der Sterbehilfeorganisation. Um den nötigen Antrag zu stellen bräuchte ich Arztbriefe und andere Unterlagen und jemand müsste es für mich mit der Post abschicken und entsprechend auch die Antworten aushändigen. Und genau das würden sie partout nicht tun, was ich als extreme Freiheitseinschränkung und Bevormundung ansehe und rechtlich tatsächlich auch solche ist. Finanziell wäre das von meiner Seite möglich und abgesichert, doch ohne Zugang zum Drucker, zu meinen Arztberichten und zum Briefkasten, ist das nicht möglich. (@böseböse) Ganz abgesehen davon, ob ich überhaupt eine Zusage erhalten würde und/oder ich psychisch als entscheidungsfähig/urteilsfähig gelte oder nicht, so hätte ich doch gerne mein Recht als freier Bürger den entsprechenden Antrag zu stellen. Würde ich in ein selbständiges Wohnen übergehen, so könnte ich diesen Schriftverkehr natürlich viel ungestörter erledigen und genau das wollen meine Angehörigen verhindern.
Ein weiteres Zitat aus einer privaten Nachricht passt hier ebenfalls gut:
"So, wie du jetzt lebst, würde ich mir wie gefangen vorkommen und ich (!) würde zunächste einmal versuchen, das (!) zu ändern."
Mit einer Zusage für so einen Antrag ist man ja nicht gleich verpflichtet, die Sache sofort oder überhaupt in Anspruch zu nehmen. Laut offiziellen Angaben nehmen über 70 % derjenigen, die eine Zusage erhalten, diese gar nicht in Anspruch. Und auch mir selbst würde zumindest die Zusage bereits eine riesige Erleichterung verschaffen und die Gewissheit, dass der Notausgang parat ist, falls die unerträglichen Schmerzen langfristig andauern sollten.
Solange mir dieses bürgerliche (und wie ich finde auch moralische) Selbstbestimmungsrecht von meinen Angehörigen bedingungslos verwehrt wird, sehe ich es nicht ein, sonderlich Rücksicht auf sie zu nehmen (siehe vorherige Post bzgl. seltene nächtliche Hilfsaktionen). Auch meine Stimmung und mein Verhalten ist aus diesem Grund ihnengegenüber oft relativ gereizt. Ich finde SIE sind es, die in diesem Fall im Unrecht sind und mir unrechtmäßig die Freiheit entziehen, dort wo sie es nicht dürfen. SIE sind an der Reihe einen ersten Schritt in Richtung Nachgiebigkeit zu gehen.
Meinungen diesbezüglich sind gerne willkommen. Mir ist bewusst, dass dies ein schwieriges und kontroverses Thema ist.